23.07.2011:

Fest unter der Eiche

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Gedenken und Feiern
Thema Deportation beim „Fest unter der Eiche“ im Haus der Heimat Nürnberg

1941 wurden etwa eine Million Deutsche in den Osten der Sowjetunion (SU) verschleppt. Das bedeutete die Liquidierung ihrer Wolgarepublik und aller deutschen Siedlungen im europäischen Teil der SU. Man beschuldigte die Deutschen pauschal der Kollaboration mit Hitlerdeutschland. Der Stalinerlass vom 28. August bildete den Anfang einer systematischen repressiven Politik gegen deutsche Bürger der SU mit Schutzhaft, Zwangsarbeit, Rechtlosigkeit und gesellschaftlicher Ausgrenzung. 70 Jahre nach dem wohl tiefsten und schmerzlichsten Umbruch in der Geschichte der Deutschen aus Russland wurde im Haus der Heimat dessen gedacht – und dennoch gefeiert.

Horst Göbbel, Vorstandsvorsitzender des Hauses der Heimat (HdH), spannte in seiner Begrüßungsrede den Bogen von der aktuellen nationalen Tragödie in Norwegen über Vertreibung sowie Zwangsumsiedlung als humanitäre Katastrophen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bis zu den 2,5 Millionen Russlanddeutschen, die in den letzten zwei Jahrzehnten als (Spät-)Aussiedler in Deutschland aufgenommen wurden. Ihre Geschichte ist auch Teil unserer Geschichte. Ihr Gedenken ist auch unser Gedenken. Er schloss mit den Worten: „Gedenken und Feiern schließen sich nicht aus. Wir gedenken der Deportation. Wir feiern die Integration.“
Michael Frieser, MdB, Integrationsbeauftragter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Schirmherr des Festes, der die hohe Anzahl der anwesenden Ehregäste aus Politik und Gesellschaft hervorhob, pflichtete dem bei: „Es ist wichtig, dass Sie auch immer wieder thematisch erinnern – wie heute an die Deportation der Russlanddeutschen 1941- um Geschichte tatsächlich bewusst zu machen. Dazu gehört Kultur erleben, erleben lassen, aber auch im Alltag selber leben.“ Also sei Begegnung sehr wichtig und: „Das HdH ist ein Ort, an dem Begegnung in kultureller Vielfalt möglich ist, wo man innerlich bereit ist, Menschen mitzunehmen in eine Gemeinschaft.“ Günter Gloser, MdB SPD, thematisierte das Verlassen der Heimat weltweit, speziell die aktuelle Hungerkatastrophe in Somalia, und, Bezug nehmend auf die von Horst Göbbel gestaltete Stellwand (Roll-Up) über die Deportation der Russlanddeutschen, sagte er: „Es ist wichtig, daran zu erinnern, was der Auftrag der Politik, aber auch der Gesellschaft ist: eine Leistung zu erbringen, diese Schreckenstaten zu beschreiben, wie es Ihre Dokumentation auch zeigt, dass wir aber auch aktuell das Thema Heimat in der Politik neu einordnen müssen.“ Christian Vogel, SPD Fraktionsvorsitzender brachte Grüße des Nürnberger Oberbürgermeisters Dr. Ulrich Maly, dankte allen Akteuren für das Engagement im HdH und sagte: „Dies Haus der Heimat zeigt sehr genau, was möglich und was nötig ist für eine Stadt wie Nürnberg.“ Peter Daniel Forster, Bezirksrat, sprach in Vertretung von Bezirkstagspräsident Richard Bartsch ein Grußwort, in dem er ins Schwärmen geriet: „Das Haus der Heimat strahlt wie ein großer Leuchtturm aus dem Nürnberger Süden in das mittelfränkische Gebiet hinaus. Sie faszinieren mit Ihrer Arbeit die Jugendlichen und auch die Junggebliebenen!“ Er war wohl sehr angetan auch vom Kulturprogramm, das zwischen den Grußworten geboten wurde: Aus der russlanddeutschen Tanzgruppe „White Shadows“ (Ltg. Alexander Voss) präsentierte die Kindergruppe HIP- HOP und die Teeny- Gruppe einen Charleston, Sofiya Kachkovska, Sprachschülerin im HdH, tanzte den Russischen Tanz Freude, die Jugendtanzgruppe Sternele der LM der Sathmarer Schwaben Nürnberg (Ltg. Angela Toma) tanzte die Volkstänze Marschkonter sowie Tanzfreude und der Chor der Dt.a. Russland Heimatklänge (Ltg. Charlotte Kitchmeier) sang zwei Volkslieder, so dass kräftig mitgesungen werden konnte..

Im Beisein der Gäste, darunter mehrere Vertreter aus dem Stadtrat, von Wohlfahrtsver-bänden, aus dem Bürgerverein Langwasser, Bund sowie Union der Vertriebenen, Vorsitzen-de von Landsmannschaften, Mitglieder des neuen Nürnberger Rates für Integration und Zu-wanderung sowie des Nürnberger Kulturbeirats zugewanderter Deutscher, ehrte Horst Göbbel Vereinsmitglieder mit 10-jähriger Mitgliedschaft im HdH, darunter Olga Vetter, die auch durch das Programm führte..
Bei herrlich sommerlichem Wetter hatten starke Männer unterschiedlicher Landsmannschaften am Vormittag die Zelte und das Trampolin für die Kinder aufgestellt. Köstlich duftete es am Grill der Siebenbürger Sachsen aus der Tanzgruppe Nürnberg und stetig brummte das Geschäft an der von Banater Schwaben betreuten Schänke. An der Kasse saß Angela Toma mit weiteren Sathmarer Schwaben, die Bibliothekarin Edith Kühn, eine Banater Schwäbin, bestritt den Bücherflohmarkt und Margarethe Ojewski, Russlanddeutsche, betreute die Kinder und Erwachsenen in der Kreativecke beim Verzieren von Blumentöpfen. Ehepaar Faff, Siebenbürger Sachsen, boten Baumstritzel an und erinnerten mit der langen Warteschlange vor ihrem Zelt an die 80-er Jahre in Rumänien: Schlange stehen kann auch zum Gemeinschaftserlebnis werden! Einige Gäste erlebten das Baumstritzelbacken erstmalig. In der Küche wechselten stündlich Helfer verschiedener Landsmannschaften. Knapp 40 Kuchen, deren Ausgabe von Siebenbürger Sächsinnen unter der Leitung von Erika Hoos betreut wurde, hatten die Mitgliedsvereine gespendet. Organisiert war das Fest wieder vom Arbeitskreis Kultur, dessen Mitglieder weitere Aufgaben wahrnahmen, z.B. Bedienung der Ehrengäste oder Ausschenken von Kaffee an alle Gäste. Der Sprecher des Arbeitskreises Kultur, Johann Merk, Sathmarer Schwabe, erhielt stellvertretend für alle beim Fest eingespannten ehrenamtlichen Helfer von Doris Hutter, der Geschäftsleiterin des HdH, eine Blume. Zu dem Zeitpunkt tanzten mehrere der rund 400 Gäste schon zu den Klängen der Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg unter der Leitung von Michael Bielz, andere saßen in der Kreativecke und lebten ihre Phantasien künstlerisch aus. Spätestens dann war nach anfänglichem Gedenken das Feiern an der Tagesordnung.

Doris Hutter