„Auf Tuchfühlung. Trachten erzählen Geschichten“
„Auf Tuchfühlung – Trachten erzählen Geschichten“ lautete das Motto der diesjährigen Tage der deutschen Kulturvielfalt der Stadt Nürnberg, die am 27.und 28. April 2024, unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Marcus König, im Haus der Heimat (HdH) stattfanden. Die alljährlichen Kulturtage werden Landsmannschaft übergreifend von den Aussiedler- und Vertriebenenverbänden zusammen mit den Kulturgruppen des HdHs organisiert. Die Veranstaltungen werden von der Stadt Nürnberg, Geschäftsbereich Kultur gefördert.
Das Thema Tracht stand am Samstag, dem ersten Kulturtag, im Mittelpunkt. Man konnte die Vielfalt der Trachten bewundern, Neues erfahren, Trachten anprobieren und im wahrsten Sinne auf Tuchfühlung mit den edlen Stoffen gehen. Die im großen Saal aufgestellte Fotobox wurde rege genutzt. um die Begegnungen sowie Erlebnisse in Bildern festzuhalten.
Die Moderation und Begrüßung der zahlreichen Besucher sowie Ehrengäste übernahm die Geschäftsleitung des HdH Natalie Keller. Aus dem Bayerischen Landtag begrüßte sie Thomas Pirner, MdL, CSU und Präsident der Handwerkskammer Mittelfranken, aus dem Bezirk Mittelfranken den Bezirkstagspräsident (CSU) Peter Daniel Forster und Sabine Knuhr-Weininger, Bezirksrätin (SPD). Aus dem Stadtrat waren anwesend Werner Henning(CSU) und Vorsitzender des HdH, Helmine Buchsbaum (CSU) und Mitglied des Vorstandes HdH, Achim Mletzko (Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen), Michael Ziegler (SPD). Das Haus des Deutschen Ostens war vertreten durch Harriet Schmidt (Sachgebiet Förderaufgaben). Weiterhin begrüßte Frau Keller alle Anwesenden des Vorstandes des HdH, der Landmannschaften, Körperschaften, der Partner des HdH, Frau Viola Karaalioglu, Leiterin des Inter-Kultur-Büro der Stadt Nürnberg, das haupt- und ehrenamtliche Team des HdH und Alexander Karl Wandinger, vom Zentrum für Trachtengewand des Bezirks Oberbayern Benediktbeuern, den Referenten des Eröffnungstages.
Werner Henning, Vorsitzender des Hauses der Heimat, begrüßte die Anwesenden zu den Kulturtagen und betonte getreu dem diesjährigen Motto, dass die im Koffer mitgebrachten Erbstücke, die unterschiedlichen Trachtenteile identitätsstiftend sind und zu einem positiven Gefühl beitragen. Auch Thomas Pirner, MdL und Bezirkstagspräsident Peter Daniel Forster nahmen in ihren Grußworten das Thema Tracht auf. Herr Pirner wies darauf hin, dass die Tracht etwas Besonderes ist, dass sie verbindet und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zeigt. Auch im Handwerk werden Trachten bzw. Klüfte getragen. Sie sind die traditionelle Bekleidung eines Handwerksgesellen, insbesondere der Wandergesellen während der Walz. Sie dient u.a. als Erkennungszeichen einzelner Zünfte. Tracht fördert den Zusammenhalt und stärkt den Gedanken nach Frieden und Freiheit.
Herr Forster betonte, dass die Tracht ein Ausdruck der Identifikation mit der in der eigenen Lebensgeschichte prägenden Region sei, sie ist sowohl Ausdruck eines Lebensgefühls als auch ein Bekenntnis zur Herkunft. Sie zeigt aus welchem Gebiet man stammt, welchen Status, welchen Glauben man hat. Eine Tracht trägt man mit Stolz. Die Tracht stellt die Mode einer bestimmten Zeit dar, sie entwickelt sich weiter – man sollte aufgrund von nicht eingehaltenen Regeln niemanden ausschließen, Tracht zu tragen.
Die Begrüßungsreden wurden musikalisch umrahmt von Gitarrenklängen, gespielt von Frau Elena Romanova– Nöller, ausgewählt hatte sie die Musikstücke „Bourée“ und „Menuett“ von Ernst Gottlieb Baron sowie „2 Ländler“ von W. Götze.
Ein Höhepunkt der Veranstaltung war der Vortrag von Alexander Karl Wandinger vom Zentrum für Trachtengewand des Bezirks Oberbayern. Er ging in seinem Impulsvortrag „Tracht & Co. – Fragen statt Antworten“ auf den Wandel in der Trachtenmode ein.
Er sagte: „Die Intention dieses Impulsvortrags ist das Teilen von Gedanken zum Thema Tracht. Es ist eine kritische Annäherung und auch ein ganz persönlicher Zugang zu einem Phänomen, das immer wieder neu diskutiert werden darf. Es ist mir ein Anliegen, miteinander im Sinn einer Standortbestimmung offen zu verhandeln, auf welche Weise mit der Idee, dem Konstrukt Tracht – unter anderem im Kontext von Flucht und Vertreibung – umgegangen werden kann.“ Unterschiedliche Erlebnisse haben sein Interesse an der Kultur der Menschen aus dem Osten geweckt.
Im April 2023 besuchte Herr Wandinger eine Tagung, veranstaltet vom Haus des deutschen Ostens und der Heimatpflegerin der Sudetendeutschen, Christina Meinusch, und weiteren Kooperationspartnern, die den Titel trug: „Tracht der Deutschen aus dem östlichen Europa zwischen Ästhetik, Politik und Mode“. Das Wort „zwischen“ inspirierte ihn zu ein paar Gedanken und vielen Fragen entlang der Überschrift: Was zieht uns an? Uns? Wer sind denn wir? Eine homogene Gruppe? Sprechen wir über das Selbe, wenn wir über das Gleiche sprechen? Begreifen wir uns als Gemeinschaft der an Trachten Interessierten? Welche Schnittmengen gibt es zwischen Fachleuten und Trachtentragenden bezüglich Tracht? Sind es viele, sind es vielleicht gar keine Nennenswerten?
Ist Ästhetik als die Lehre von der Schönheit, von Gesetzmäßigkeiten und der Harmonie gemeint? Oder die Ästhetik als Wahrnehmung von allem, was unsere Sinne bewegt?
Wird Tracht für politische Zwecke eingesetzt? Die teils erneuerten Trachten der Deutschen aus dem östlichen Europa können – zumindest zwischen den beiden Weltkriegen und in der Zeit des Nationalsozialismus – nicht unpolitisch gesehen werden. Darüber wird gesprochen, publiziert und diskutiert.
Tracht ist Mode aus einer bestimmten Zeit und sozialen Schichtung, die regionaltypische Entwicklungen durchlaufen hat, in stetigem Wandel begriffen war und manchmal noch ist. Was macht Mode zur echten Tracht?
Neben Ästhetik, Politik und Mode spielen auch soziale Hintergründe bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Tracht eine Rolle – auch das Kleidungsverhalten in der Alltagswirklichkeit sollte mit einbezogen werden.
Weitere Fragen kamen auf: Müssen unsere Trachten immer original gehalten werden? Wissen wir immer, was das Beste für uns und unsere Kinder ist, kennen wir ihre Bedürfnisse oder übertragen wir unsere Bedürfnisse auf den Nachwuchs? Herr Wandinger schloss seinen Vortrag mit der Frage: „Welche Meinung haben Jugendliche zum Thema Tracht? Was wünschen sich Jugendliche, damit sie sich in der Tracht wohlfühlen?“ Mit seinem kurzweiligen, lebendigen, aufschlussreichen, aber auch nachdenkenswerten Vortrag hat Herr Wandinger das Publikum begeistert und neugierig gemacht.
Natalie Keller und Werner Henning bedankten sich beim Referenten mit einem Gastgeschenk und luden alle Teilnehmer zu einem Imbiss ein. Die zahlreichen Köstlichkeiten wurden von den Landmannschaften bereitgestellt.
Nach dem Imbiss luden verschiedene Stationen zur aktiven Beteiligung ein.
„Trachten aus dem Egerland“ hieß eine Station. Hier konnte man verschiedene Egerländer Trachten bewundern, anprobieren, sich über die Geschichte informieren und den Musikdarbietungen eines Trios zuhören, Die Gestaltung der Station lag in der Verantwortung der Egerländer Gmoi Nürnberg, Leitung Ingrid Deistler.
Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. Leiterin Dorothea Walter, präsentierte im Raum „Geschichte und Forschung“ Informationsmaterial über die Geschichte, mitgebrachte Gegenstände, Raritäten, welche die Auswanderer im 18. und 19 Jh. aus dem Westen an die Wolga mitgenommen hatten und die den Weg wieder zurück fanden. Darunter befand sich z.B. eine 300 Jahre alteBibel und verschiedene Haushaltsgegenstände.
In der Heimatstube der Oberschlesier waren Gegenstände ausgestellt, die für die Geschichte der Oberschlesier relevant sind. Hier konnte man sich u.a. erklären lassen, welche Bedeutung die Symbole auf der Bergmannsuniform und die Farbe des Federbusches auf dem Hut haben.
In der Stube der Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen drehte sich alles um den Frauenkopfschmuck. Von Frau Ramona Kiefer, LM der Banater Schwaben, Ortsgruppe Nürnberg und Frau Katharina Ganz konnte man sich die Haare kunstvoll flechten lassen. Frau Heidi Mehburger, Verband der Siebenbürger Sachsen Nürnberg, zeigte die Siebenbürgische Bockelung aus Alzen. Als Modell für den aufwendigen Kopfschmuck stellte sich Frau Annemone Müller zur Verfügung.
In der Kreativecke „Trachteninspirationen“ durfte man unter der Anleitung der Kunstpädagogin Frau Irina Trautwein Trachtenzubehör basteln und Blankofächer mit Blumen oder Stickmotiven selber dekorieren.
Am Sonntag zeigte sich, dass das HdH trotz Anbau und Erweiterung wohl doch zu klein ist. Zahlreiche Besucher kamen, um gemeinsam den zweiten Teil der „Tage der deutschen Kulturvielfalt“ zu erleben. Die im großen Saal aufgestellten Stuhlreihen reichten nicht aus, zusätzliche Sitzmöglichkeiten im Saal und im Flur mussten geschaffen werden.
Frau Natalie Keller begrüßte die Besucher und Ehrengäste aufs herzlichte. Anwesend waren der Schirmherr der Veranstaltung Oberbürgermeister Marcus König, aus dem Bayerischen Landtag Frau Verena Osgyan, MdL, Bündnis 90/Die Grünen, aus dem Stadtrat Diana Liberova, (SPD), Paul Arzten, (Bündnis 90/Die Grünen). Horst Göbbel, Ehrenvorsitzender des HdH wurde namentlich begrüßt sowie alle weiteren Mitglieder des Vorstandes, Körperschaftsmitglieder des HdH, ehrenamtliche Helfer, die Siebenbürgische Blaskapelle, die Tanzgruppen und die Chöre.
Als Vertreter der Kirchen begrüßte Frau Keller: Pfr. Karsten Junk (Pfarrei Heilige Edith Stein), Feil Thomas (ev. Gemeinden Langwasser) und Gemeindereferent Lucian Mot (Landsmannschaft Banater Schwaben), der im Anschluss an die Begrüßung die ökumenische Andacht hielt.
Herr Mot wählte als Predigttext Worte aus dem heiligen Evangelium nach Johannes (Joh.10), aus. Der Hirte und die Tür – sie stehen nebeneinander. Jesus stellt sich uns als der gute Hirte vor, der für die Seinen sorgt. Zwischen ihm und den Seinen herrscht ein besonderes Vertrauensverhältnis. Seiner Stimme können wir folgen, ihm können wir uns anvertrauen. Jesus stellt sich als Tür vor, die uns zur Seligkeit führt, an ihm vorbei gibt es keinen Weg, der in den Himmel führt. Immer wieder stellte Herr Mot Vergleiche zur heutigen Gesellschaft. Was bin ich für ein Hirte? Diese Frage sollte sich jeder ab und zu stellen.
Der gemischte Chor der Singgruppen aller Landsmannschaften und des HdH unter der Leitung von Angelika Melzer sowie die Solosängerin Tatjana Gettich und die Klavierspielerin Brigitte Sekes umrahmten den Gottesdienst musikalisch.
Nach der Andacht empfing die Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg unter der Leitung von Michael Bielz alle Gäste im Hof. Gerlinde Zakel und Johann Schuster führten den Trachtenaufmarsch an. Die unterschiedlichen Trachten boten ein farbenfrohes Bild, das bei den Zuschauern sehr gut ankam und mit Applaus belohnt wurde.
Marc Pall, der junge Moderator, stellte sich als Mitglied der Jugendtanzgruppe Herzogenaurach vor, bedankte sich bei den Trachtenträgern und bat den Schirmherren Marcus König um sein Grußwort.
Der Schirmherr freute sich über die zahlreichen Gäste, die vielen Trachtenträger sowie über die Vielfalt der Trachten. Herr König betonte, dass die Termine im HdH immer etwas Besonderes seien, dass er die Einladungen immer gerne annehme. In seinem Grußwort nahm er das Motto „Tracht erzählt Geschichte“ auf und verglich die offene Tür aus dem Predigttext mit der gelungenen Aufnahme vieler Zugewanderter aus verschiedenen Kulturgruppen in Nürnberg. Die Vielfalt sei der Schatz der Stadt Nürnberg.
Die Tanzgruppe der Banater Schwaben Nürnberg unter der Leitung von Melanie Kling, begeisterte das Publikum mit ihren schwungvoll dargebotenen Tänzen. Die Kindertanzgruppe tanzte den „Siebenschritt“, die gemischte Gruppe die Polka „An der Weinschenke“.
Frau Verena Osgyan (MdL, Bündnis 90/Die Grünen), überbrachte Grüße aus dem gesamten Bayerischen Landtag sowie aus dem Präsidium des Landtages. Sie stellte fest, dass der Zusammenhalt in der heutigen Zeit, mit den derzeit gegebenen politischen Hintergründen und die Wahrung der kulturellen Unterschiede ist für Weiterentwicklung Europas wichtig sei.
Im Anschluss an das Grußwort tanzte die Tanzgruppe der Egerländer Gmoi unter der Leitung von Ingrid Deistler die Tänze „Hafersack“ und „Sternpolka“. Die Jugendtanzgruppe der Siebenbürger Sachsen Herzogenaurach unter der Leitung von Brigitte Krempels erfreute das Publikum mit den Tänzen „Uf am Rossboda“ und der „Russenpolka“
Den Abschluss des kulturellen Nachmittags bildete die HIP- HOP –Gruppe des HdH unter der Leitung von Leonie Vetter. Der rhythmische Tanzstil der jungen Damen begeisterte mit ihren dynamischen und mitreißenden Bewegungen nicht nur das Publikum, sogar die Musikanten erhoben sich von ihren Plätzen, um die Tänzerinnen zu bewundern.
Zu den Klängen der Blasmusik wurde anschließend fleißig getanzt, bei Kaffee und Kuchen sowie kalten Getränken wurden gute Gespräche geführt. Unter der Begleitung der Akkordeonspielerin Helmine Schuller Bögelein saßen die Singfreudigen zum Schluss noch gemeinsam beisammen und verabschiedeten die Kulturtage 2024 mit dem schönen Volkslied „Kein schöner Land…“
Vielen Dank an alle ehrenamtlichen Helfer aus den Landsmannschaften und an die Mitglieder des HdH sowie an die Angestellten des HdHs, ohne deren Organisation solch ein Fest von über 250 Besucher nicht machbar wäre.
Ein besonderer Dank geht an die Stadt Nürnberg, Geschäftsbereich Kultur, die die Tage der deutschen Kulturvielfalt finanziell fördern.
Hildegard Steger