Ausstellung „Einmal Russland, bitte!“
Funde aus dem Landeskirchlichen Archiv der Evang.-Luth. Kirche in Bayern
(Teil der Veranstaltungsreihe „250 Jahre Katharinas Einladungsmanifest – 250 Jahre russlanddeutscher Kulturgeschichte“)
Etwa 20 Tausend Deutsche leben heute in Nürnberg, die ihre familiären Wurzeln in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion haben. Sie sind überwiegend Nachkommen der deutschen Auswanderer, die vor 250 Jahren dem Ruf der Zarin Katharina II., genannt die Große (geborene deutsche Prinzessin) folgten. Am 22. Juli 1763 erließ sie ein Einladungsmanifest, in dem sie den ausländischen Einwanderern Privilegien wie unentgeltliche Landeszuweisung, freie Religionsausübung, Steuerfreiheit bis zu 30 Jahren, Befreiung vom Militärdienst, kulturelle Autonomie und gemeindliche Selbstverwaltung zusicherte. 30.623 Auswanderer, die meisten aus deutschen Landen, folgten zwischen 1763 und 1772 den großzügigen Angeboten der Zarin. Auch aus Nürnberg und Umgebung machten sich Menschen auf den Weg nach Russland.
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe 2013 „Einmal Russland und zurück!“ luden das Haus der Heimat Nürnberg, die Kirchengemeinde Bartholomäus Wöhrd, die SinN-Stiftung des Evang.-Luth. Dekanats und das Landeskirchliche Archiv der evang.-luth. Kirche am 24. Februar 2013 zur Vernissage der Ausstellung „Einmal Russland, bitte! Funde aus dem Landeskirchlichen Archiv der Evang.-Luth. Kirche in Bayern“.
Die Ausstellung in der Kirche St. Bartholomäus Wöhrd führt an die oberpfälzischen und fränkischen Wurzeln der Deutschen aus Russland. Die Auswanderung aus dem heutigen Bayern war eher punktuell und dauerte nicht lange an. Schon 1765 wanderten Umsiedler aus der Oberpfalz nach Russland aus. Die Gelegenheit zur Auswanderung bot sich auch deswegen, weil die Stadt Regensburg der erste Sitz eines russischen Gesandten war, der die Anwerbung von Ausreisewilligen nach Russland betrieb. Das Hauptauswanderungsgebiet war demnach die Region zwischen Nürnberg und Regensburg. Die meisten Ausreisewilligen kamen zu den Sammelstellen in Ulm, Regensburg, Frankfurt und Büdingen/Hessen und 1766 auch nach Wöhrd bei Nürnberg, wo die Beamten sich von russischen Lokatoren (Anwerbern) bestechen ließen und ihre Untertanen freigaben. Aber bereits 1766 wurde die Anwerbung durch energische Gegenmaßregeln gestoppt und die Auswanderung verboten – der Sitz des Gesandten wurde nach Hessen verlegt.
Wer aus der Region Nürnberg auswanderte, ließ sich in der Kirche St. Bartholomäus Wöhrd trauen, dort schnellte die Zahl der Eheschließungen in die Höhe. Die Hauptbedingung der russischen Regierung lautete, dass nur verheiratete Ehepaare als „Colonisten“ angenommen werden, die eigenen Herrscher verlangten nur die Tilgung aller Steuerschulden, bevor sie den Ausreisewilligen Reisepässe ausstellten.
Den Eröffnungsvortrag dazu hielt der Historiker Dr. Anton Bosch vom Historischen Forschungsverein der Deutschen aus Russland e.V. Er erforschte dafür die Auswanderung aus den bayerischen Regionen anhand der Funde und Unterlagen des evangelischen Landeskirchenarchivs in Nürnberg. Anhand dieser Funde konnte Dr. Bosch feststellen, dass 66 getraute Ehepaare sich zwischen 1766 und 1767 ins Traubuch Wöhrd eintragen ließen, die als so genannte Kolonisten aus der Region um Nürnberg auswanderten. Es handelt sich eigentlich um einen Auszug aus dem Kirchenbuch jener zwei Jahre, die bereits 1929 der Nürnberger Oberschullehrer Wilhelm Funk in bezug auf die so genannten „Deutschen als russischen Colonisten“ ausgewertet und in den „Blättern für fränkische Familienkunde“ veröffentlichte. Die Gesamtliste der „russischen Colonisten“ aus Wöhrd konnte bisher nicht gefunden werden. Schätzungsweise zogen von hier ca. 1.000 Personen nach Russland.
Wertvoll für die Forschung seien die Angaben über Zugehörigkeit zur Konfession, Herkunftsorte oder Berufe der Auswanderer. Von den in Wöhrd 66 getrauten Ehepaaren hatten 41 Prozent evangelische und 26 katholische Konfession angegeben, bei 15 bis 21 Prozent hatten Mann und Frau unterschiedliche (evangelisch/katholisch) Konfessionen, 10 Prozent machten keine Angaben zur Religion.
Neben der fünfteiligen Darstellung der Geschichte der Russlanddeutschen seit 1763 unter dem Motto „250 Jahre Einladungsmanifest von Katharina. II – 250 Jahre russlanddeutscher Kulturgeschichte“, vorbereitet vom Historischen Forschungsverein der Deutschen aus Russland e.V., wurde eine Fotoausstellung über das Ehebuch und seine historischen Hintergründe gezeigt (Im Original lag das Ehebuch von 1766/67 nur bei der Vernissage vor).
Die Nürnberger Veranstaltungsreihe 2013 „Einmal Russland und zurück!“, deren Teil die Vernissage ist, zeigt Aspekte deutscher Aus- und Einwanderung, blickt an Hand von Nürnberger Archivdokumenten in die Geschichte und thematisiert Migrationsfragen zwischen Ost- und West. Zu den Veranstaltern gehören neben der SinN-Stiftung des Evang.-Luth. Dekanats und der Evangelischen Stadtakademie das Haus der Heimat Nürnberg e.V., der Historische Forschungsverein der Deutschen aus Russland e.V. und die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (Ortsgruppen Nürnberg und Fürth und die Landesgruppe Bayern).
Den Auftakt zur Veranstaltung bildete die Lesung mit der russlanddeutschen Autorin Eleonora Hummel aus Dresden Ende 2012. Das Jahr 2013 begann mit der Diskussionsrunde „Eingewanderte Ausgewanderte. Erfahrungen Russlanddeutscher mit Integration“ am 24. Januar in der Nürnberger Reformations-Gedächtniskirche.
Nina Paulsen