Das Verhältnis Dialekt – deutsche Schriftsprache
im Alltag und in der Dichtung
Für Sonntag, den 21. April 2013, hatte Doris Hutter alle, die an der siebenbürgisch-sächsischen Mundart interessiert sind, nach Nürnberg ins Haus der Heimat eingeladen. Am Vormittag fand ein Seminar mit Referat und Aussprache statt, an dem auch Zuhörer teilnahmen, die selbst nicht schreiben, unter ihnen der Siebenbürger Sachse und SPD-Landtagskandidat Edwin Krug sowie Angelika Meltzer, interessiert an der Mundart, weil sie sächsische Texte für die Chöre in Nürnberg/Fürth am PC schreibt. Sie filmte die AutorInnen bei der Lesung, so dass die Vorträge der Texte demnächst im Internet erlebt werden können.
Nach der Begrüßung durch Doris Hutter sprach Bernddieter Schobel einige Worte zum Gedenken an Mundartautor Martin Hedrich. Grete Menning konnte zum Problem zunehmender Verdeutschung des Siebenbürgisch-Sächsischen auf humorvolle Weise zeigen, wie vor allem Kinder, die oft das ursprüngliche siebenbürgisch-sächsische Wort nicht kennen, dafür einen aus dem Schriftdeutschen entlehnten Ausdruck verwenden. Direkt daran schloss Hanni Markel den ersten Teil ihres Referates an: „Aussprache – Schreibung“. Sie verwies darauf, dass durch den Umzug nach Deutschland ein Austausch des rumänischen (auch ungarischen) sprachlichen Umfelds durch das offizielle und alltägliche Deutsch stattgefunden habe. Wobei auch einheimische Deutsche gelegentlich Mühe hätten, Mundartliches von einem korrekten Schriftdeutsch zu trennen, also sauber zweigleisig zu verfahren. In einem geschichtlichen Rückblick erinnerte sie daran, dass es auch in der Vergangenheit der Siebenbürger Sachsen bis etwa um 1850 Zweigleisigkeit gegeben habe: Man schrieb Schriftdeutsch und las mundartlich, man schrieb „Speck“ und las „Båfliesch“. Umgekehrt hafte unserem Deutsch bis heute typisch Siebenbürgisches an. Korrekturversuche nach schriftdeutschem Modell führten zur Verunsicherung im mundartlichen Sprachgebrauch: Was man uns in siebenbürgischen Schulen über die hochdeutsche Wortfolge eingetrichtert habe, sei in direkter Umkehrung auf die Mundart rückwirkend übertragen worden. Eklatantes Beispiel: die Nachstellung der Negation. Statt sächsisch korrekt „Net schrå“, hört man heute immer öfter: „Schrå net“ („Schrei nicht“).
Den meisten Seminarteilnehmern dürfte der Name Dr. Michael Hannerth unbekannt gewesen sein, dessen Aufsatz von 1912 „Gute siebenbürgisch-deutsche Aussprache“ auch heute noch Aktualität besitze, wie Hanni Markel etwa am Beispiel des stummen Dehnungs-h aufzeigte. Neu war der Vorschlag, den Ich-Laut (im Gegensatz zum Ach-Laut) nach tiefen Lauten (a, o, u, au) durch ein vorgesetztes „j“ zu kennzeichnen: Nuecht (Nacht), aber naajchten (vergangene Nacht), auch jcha (ja).
Im zweiten Teil: „Morphologie und Syntax“, ging Hanni Markel ausführlich auf den Gebrauch des Artikels bei der Nennung von Personennamen ein. Im Siebenbürgisch-Sächsischen sei er unverzichtbar. Der Satz: Gerda ist gekommen, müsse korrekt lauten: Det Gerda äs kunn.
Im weiteren Verlauf der Aussprache ging es auch um die künstlerische Qualität unseres mundartlichen Schreibens. Oswald Kessler ermutigte, beim Schreiben der Mundart vermehrt zum „dichterischen Ich“ zu greifen, weil dadurch die Lyrik ehrlich und verlässlich wirke. Die TeilnehmerInnen haben eine tüchtige Portion Hausaufgaben zum Lesen und Arbeiten heimgenommen.
Nach dem gemeinsamen Mittagsmahl, zu dem zwei Autorinnen köstliche Kuchen gespendet hatten, eröffneten um 16 Uhr die Damen des Singkreises Nürnberg unter der Leitung von Margarete Schuster mit dem bekannten Lied von Grete Lienert-Zultner „Norr iest noch wil ech dir begehnen“, Melodie Karl Reich, die öffentliche Lesung. Doris Hutter begrüßte das Publikum. Horst Göbbel, Leiter des Hauses der Heimat Nürnberg, brachte, stellvertretend auch für den Kreisverband Nürnberg der Siebenbürger Sachsen, seine Freude zum Ausdruck, dass diese Veranstaltung hier stattfinden könne, und sprach über die Wichtigkeit der Mundartpflege.
Den Reigen der Vortragenden eröffnete Hilda Femmig (geboren in Neudorf b. Her-mannstadt) mit einer wundervollen Kindheitserinnerung: „Do derhiem“. Im Gedicht „Ken Owend“ blickt sie mit der Weisheit des Alters auf ihr Leben zurück und bekennt, wie wichtig ihr die Sprache stets war. Dankbar für das, was ihr geschenkt war, möchte sie den dichterischen Stafettenstab an die Nachfolgenden weitergeben.
Helmuth Zink (geboren in Großschenk) stellte auf launige Weise seinen Heimatdialekt vor: „De Schoinker Spriuch“. Gertrud Roth (geboren in Nadesch) erinnerte sich in dem Gedicht „Der Ländjebuum“ an glückliche Stunden, die sie einst mit dem Liebsten im Schatten jenes Baumes verbracht hatte. Außerdem hatte Gertrud Roth die große Freude, mit dem Singkreis zusammen eines ihrer eigenen Lieder, „Näckest warden ech vergeßen“, vertont von Johann Barth, singen zu dürfen.
Hilde Juchum (geboren in Maldorf, gelebt in Frauendorf) trug ihr Gedicht „Gedriemt“ vor und zählte in „De Reechnung“ auf, wie „unbezahlbar“ hausfrauliche Arbeit sei. Margarete Menning-Gierer (geboren in Denndorf) erinnerte im Gedicht „Frähjohr“ an die Namen vieler Blumen- und Vogelarten. In „De Lech“ erzählte sie in Versen die Anekdote von der Sächsin, die einen Einheimischen fragt, ob er „die Leiche“ gesehen habe. Martha Scheiner (geboren in Hermannstadt) trug Fabeln vor: vom Esel, vom Diamanten verachtenden Hahn, vom Adler und von Affen. An das Frühjahr erinnerte das Lied des Singkreises „De Kirsche blähn an asem Guerten“ von Anna Schuller-Schullerus, Satz Hans Welther.
Es folgten zwei bekannte Humoristen: Dietrich Weber (geboren in Schirkanyen) mit „De Kåmpütze-Kåjchen“ über einen missglückten Kohlrüben-Einkauf im Supermarkt und Hans Otto Tittes (geboren in Heldsdorf) mit: „Det Bodzimmer – frähr uch het“. In einer kurzen Prosaerzählung, „De Schnieglekeltcher hieren“, erinnerte sich Bernddieter Schobel (geboren in Hermannstadt) an seinen im Krieg gefallenen Onkel. Doris Hutter (geboren in Agnetheln) verglich in „Papair. Såchen“ den einstigen Bittbrief an die Verwandten im Westen mit der heutigen Bestellung aus dem Katalog und – pointiert – in „Mobil Råin“ die Ringmauer einer Kirchenburg mit dem modernen Ring parkender Autos. Malwine Markel (geboren in Deutsch-Weißkirch) machte sich Gedanken über die Zeit: „De Stanjd der Zetj“. Oswald Kesslers (geboren in Kerz) vorgetragene Gedichte aus dem Zyklus „Wärkzech-, Gohrmert- uch Trunnegedichter“, nämlich „De Pätschzong uch de Gieß mät Buert“ und „De Håspel uch det Spalerad“, wurden in Folge 6 dieser Zeitung vom 15. April 2013 besprochen. Elisabeth Kessler (geboren in Neppendorf) las das Gedicht „De Kliesterlaind“, in dem sie beschreibt, wie die Linde mit ihrer unverwüstlichen Lebenskraft selbst eine alte Mauer „bewegt“. Und mit ihrem Gedicht „Frähjohr“ machte ihr der Singkreis ein schönes Geschenk: Zum Abschluss sang er Elisabeth Kesslers „Frähjohr“ in der Vertonung von Gerhard Beer.
Die Dekoration war mit Vergissmeinnicht-Blümchen und einer rot-blauen Kerze, deren Flamme symbolisch die Siebenbürgisch-sächsische Mundart am Brennen hält, darauf ausgerichtet, die Mundart nicht zu vergessen. Horst Göbbel und Doris Hutter dankten dem Singkreis, den AutorInnen, dem Publikum und ließen keinen Zweifel daran: Den nächsten Mundart-Tag wird es spätestens nach zwei Jahren mit Sicherheit wieder geben.
Bernddieter Schobel