Sportliche Gedanken, die sich Horst Göbbel, Vorsitzender des Hauses der Heimat Nürnberg, passend zum Auftakt der Aussiedlerkulturtage 2006 gemacht hat: Zwei Aussiedler, Miroslav Klose aus Ober- und Lukas Podolski aus Niederschlesien, standen mit dem Team der deutschen Nationalmannschaft im Blickfeld von Millionen Menschen, als vom 23.-25. Juni 2006 die Aussiedlerkulturtage der Stadt Nürnberg gefeiert wurden.
Nürnbergs Bürgermeister Dr. Klemens Gsell unterstrich am Freitag, 23. Juni bei deren Eröffnung im Haus der Heimat, dass diejenigen, „die sich zu Ihren Vereinen hier im Haus der Heimat bekennen, in Nürnberg längst integriert sind und zu dieser Stadt gehören.“ Er lobte das hervorragende künstlerische Niveau der bisher erlebten Darbietungen, die die Kultur der Stadt Nürnberg bereichern. Großen Respekt zollte der Vertreter des Schirmherrn, OB Dr. Ulrich Maly, auch der „Pflege dessen, was unsere Vorfahren alles geleistet haben.“ Als Beispiel griff er die Volkstänze auf, die die Aussiedler aus ihrer Heimat mitgebracht haben und hier einüben: „Es gibt Wenige, die im Fränkischen noch ihre Brauchtümer in dieser Form pflegen, da haben Sie uns Etwas voraus, das muss man Ihnen neidlos anerkennen! Pflegen Sie es weiter, das ist erhaltenswert!“ Stadträtin Gabriela Heinrich, SPD ist seit 5 Jahren bei der Eröffnung dabei: „Seit dem 1. Mal ist es ein Abend, auf den ich mich wirklich freue. Ich weiß, ich werde wunderbare Musik hören. Aber es ist nicht nur das! Ich kann mich immer auch auf einen Vortrag freuen…Danke, dass Sie hier einen Abend geschaffen haben, der etwas Besonderes ist. Es ist ein Kleinod in dieser Form…“ Levent Ilisik, FDP stellte, in Vertretung des Stadtrats Utz Ulrich, die Frage in den Raum „Was bedeutet für uns Glück?“ Dabei erwähnte der in der Türkei geborene junge Politiker Werte, die man meist nur dann schätzt, wenn man sie nicht hat: Gesundheit, Frieden und Sicherheit, Freiheit.
Den musikalischen Rahmen boten gekonnt die in Moldawien geborene Inna Stambulska am Klavier mit der “Fantasie” von Wolfgang Amadeus Mozart, der Sathmarer Schwabe Stefan Vasil, Violine und die Siebenbürgerin Daniela Mayer, Violoncello, mit Charles Dancias (1817-1907) Duo über Themen aus “Don Juan” von W. A. Mozart bzw. „Freischütz“ von Carl Maria von Weber. Die oberschlesische Sopranistin Elke Vogt-Kleinicke, begleitet am Klavier von Tobias Fichte, entführte die Zuhörer mit vertonten Gedichten des Freiherrn Joseph von Eichendorff einfühlsam in die Romantik. Außerdem begeisterten Inna Stambulska und Meri Milner aus Russland am Klavier mit der „Aufforderung zum Tanz“ von C. M. von Weber und „Galopp“, einem Tanz aus dem Ballet „Anna“ des zeitgenössischen Valeriy Gawrilin. Die mit interessanten Details gespickte Einführung zur Ausstellung „Die Schulen der Siebenbürger Sachsen“ durch den Leiter des Schulmuseums Nürnberg, Michael Schneider, ließ erkennen, dass Michael Schneider, ein Siebenbürger Sachse, nicht nur als Initiator und Fachmann der im HdH präsentierten Wanderausstellung fungiert, sondern auch als glaubhafter Zeitzeuge. Durch den Abend führte charmant Simone Alzner, Tochter nordsiebenbürgischer Eltern. Während des ganzen Wochenendes konnte die Ausstellung „Die Schulen der Siebenbürger Sachsen“ im Haus der Heimat besichtigt werden. Am Montag wurden dann die Sprachschüler von Olga Vetter durch sie geführt.
Umrahmt von den Klängen der Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg e. V. unter der Leitung von Hans Welther und Richard Taub und eingerahmt von Trachtenträgern und den Fahnen der Landsmannschaften der Aussiedler hielt Willi Büttner, Pfarrer der Paul Gerhardt-Kirche, im Schatten der Eiche des Hauses der Heimat am Samstag erst eine gesangintensive Andacht im Zeichen des Kanons. Fahnen und auch Trachten, meinte er, zeigen, wozu man sich bekenne. Das könne man bei der Weltmeisterschaft anhand der vielen Deutschlandfahnen genau so sehen: „Es geht bei diesen Fahnen und Trachten um Etwas, das bei uns gewissermaßen im Bauch und im Herzen sitzt… weil sie ein Stück Zugehörigkeit stiften.“
Nach dem Umzug durch ein Stückchen Langwassergebiet präsentierten sich die teilnehmenden Kulturgruppen im Gemeinschaftshaus Langwasser einem Publikum, das sich trotz des wichtigen Fußballspiels Deutschland-Schweden eingefunden hatte. Hansjörg Ospel vom Caritasverband Nürnberg begrüßte die Anwesenden und las ein Grußwort des Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung, Dr. Christoph Bergner, u. a. die Worte: „Liebe Aussiedler, auch Sie verkörpern ein Stück Deutschland…Gerne nutze ich die Gelegenheit, allen zu danken, die an der Vorbereitung und Durchführung der Aussiedlertage mitwirken und allen, die sich für die Integration der Aussiedler zumeist ehrenamtlich einsetzen. Ich setze auch weiterhin auf Ihr Engagement!“ Hansjörg Ospel, der 2006 den Vorsitz im Aussiedlerbeirat hat, beschrieb anhand vertrauter Bräuche im Herkunftsort, den Begriff „Heimat“ auch als ein Stück selbstverständlicher Hilfsbereitschaft. Bezogen auf die neue Heimat in Nürnberg mische sich zu den tiefen Gefühlen der Erinnerung wohl auch Freude über das hier Erreichte.
Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, der Schirmherr der Kulturtage, dankte den Aussiedlern für ihre Arbeit: „Was hier über Jahrzehnte gepflegt wird, ist eine Kultur, die sonst ja verschwinden würde, wenn Sie sich nicht um sie bemühen würden…“ Abschließend sprach er seinen großen Respekt für alle Ehrenamtlichen aus, weil „das, was das Leben und die Seele einer Stadt ausmacht, von genau solchen Menschen lebt, die sich ehrenamtlich einsetzen.“ Martin Burkert, SPD beglückwünschte die neue Idee, eine Andacht im Haus der Heimat zu gestalten. Er hatte daran und auch am Umzug teilgenommen und lobte „das Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft und Tradition in kultureller Verbundenheit in Nürnberg, das in vorbildlicher Weise durch die Aussiedlerkulturtage verdeutlicht und weitergefördert wird.“ Als Politiker im Bundestag ging er auf Belange der Deutschen aus Russland ein und streifte die Themen Kriegsfolgenschicksal, Jugendmigrationsdienst und Sport mit Aussiedlern. Helmine Buchsbaum, CSU-Stadträtin vergleicht das Team der Nationalmannschaft mit dem Haus der Heimat: „Das Gleichnis heißt Gemeinschaft. Gemeinschaft konnten wir im HdH verwirklichen und Begegnungen schaffen. Begegnung führt zu Integration.“ Im Saal und auf der Bühne begegneten sich im Rahmen der Auftritte die Kindertrachtentanzgruppe der Siebenbürger Sachsen, Ltg. Annette Folkendt, der Oberschlesische Singkreis der Frauengruppe, Ltg. Ursula Matuszewski, die Banater Trachtengruppe Nürnberg, Ltg. Elfriede Dietz, die Musikspatzen, der Kinderchor, „Volksquelle“ und „remix“ aus dem Haus der Heimat, Ltg. Olga Philipp, „Tintenklecks &Tausendfüßler“ Kinder- und Jugendtanzgruppe der Russlanddeutschen, Ltg. Dorothea Walter, die Tanzgruppe Nadesch e.V., Ltg. Werner Henning und der Chor „Heimatklänge“ der Russlanddeutschen. Die Leiterin des Chors, Charlotte Kirchmeier, dirigierte abschließend noch das gemeinsame Singen bekannter deutscher Volkslieder. Damit ging ein bunter und trotz laufender WM fröhlicher Nachmittag über die Bühne, in dem von Heimatliedern und Volkstanz über Gesang von Schlagern bis zum Showtanz ein vielseitiges hochwertiges Programm geboten und begeistert aufgenommen wurde, was nicht zuletzt der lebendigen und mitreißenden Moderation von Anja Landenberger, einer jungen Russlanddeutschen, zu verdanken ist. Im Foyer hatte Wladimir Egorow eine Bilder-Ausstellung seiner Schüler aufgestellt.
Nach einer kurzen Umbaupause führte das Theater „Brücken“ aus Erlangen eine deutsch-russische Geschichte auf. Ein beeindruckendes „Lied, das nicht zu Ende gesungen, ein Märchen das nicht zu Ende erzählt wurde“, das gegenseitige Vorurteile im Umgang von Einheimischen mit Aussiedlern und z.B. die Frage „Kann man nur eine Heimat haben?“ behandelt. Tiefgehende Empfindungen und schicksalhafte Zerrissenheit prägen ein mehr oder weniger realistisches Selbstverständnis auf dem Weg zur Integration in Deutschland.
Am Sonntag stand im Gottesdienst der Dietrich-Bonhoeffer-Kirche das Thema „Aussiedler“ im Mittelpunkt. Pfarrerin Griet Petersen gestaltete die Predigt sehr ansprechend als Dialog mit Diakon Friedrich Röttenbacher. Die Botschaft war, dass es schwer ist, in der Fremde Fuß zu fassen. Sie appellierten an die Einheimischen, es den Aussiedlern leichter zu machen. Lydia Pastarnak, Russlanddeutsche, führte in einem Gespräch mit ihrer Enkelin Anna Malygin vor, was Fremdsein bedeuten und wie gelungene Integration stattfinden kann. Andreas Wagner spielte während des Gottesdienstes am Klavier die Stücke „Prelude, C dur aus dem Wohltemperierten Klavier“ von Johann Sebastian Bach und die „Mondscheinsonate, 1 Teil“ von Ludwig van Beethoven. Der Gottesdienst wurde hauptsächlich der Amtseinführung des Diakons Friedrich Röttenbacher in die Aussiedlerarbeit im Dekanatsbezirk Nürnberg gewidmet. Am Schluss gab es mehrere Grußworte seitens der Kirche und auch von CSU-Stadtrat Max Höffkes, der den Schirmherrn der Kulturtage, Dr. Maly vertrat, und Inge Alzner, die im Namen der Aussiedler sprach. Sie sagte u. a., dass diese zwar keine Schulen, aber Mundart, Geschichte und Erfahrungen nach Deutschland mitgebracht hätten, keine Kulturhäuser, aber Bräuche, keine Kirchen, aber ihren christlichen Glauben. Nach dem Gottesdienst fand ein weltlicher Programmpunkt statt: Im Jugendraum wurde die Ausstellung des Historischen Forschungsvereins der Deutschen aus Russland „Deutsche Baumeister in Russland“ präsentiert. Das Rahmenprogramm boten die Russlanddeutschen Andreas Wagner mit Gesang und Gitarre, Franz Hof mit seiner Tanzgruppe „Surprise“ sowie Lydia Pastarnak mit einem Vortrag zur Ausstellung. Durch das Programm führte Olga Vetter in russlanddeutscher Tracht.
Es waren denkwürdige Aussiedlerkulturtage, wo nicht zuletzt durch die Amtseinführung eines Aussiedlerseelsorgers positive Wirkung erwartet wird. Die Weltmeisterschaft lehrt uns, dass der Ball rund ist. Diese runde Sache lässt uns den Bogen zum Aussiedler Podolski schlagen:
Während am Samstag, dem 24. Juni die Aussiedler im Gemeinschaftshaus Langwasser Tanz und Gesang vorführten, schoss Podolski die deutsche Nationalmannschaft mit zwei Toren ins Viertelfinale.
Doris Hutter