26.01.2010:

Jahresempfang des Hauses der Heimat Nürnberg

Von der Atemschaukel zum Sommernachtstraum

Die Serenade für Violine und Klavier von Frantisek Alois Drdla, vorgetragen von Boris und Eugenija Polnitski, stimmte fröhlich auf die freundschaftliche Begrüßung der Gäste im Haus der Heimat ein. Horst Göbbel, der Vorstandsvorsitzende des Vereins Haus der Heimat, sagte nach einigen Worten zum neuen Integrationsrat in Nürnberg abschließend: Dieser Integrationsrat ist gut beraten, mit dem Stadtrat und dem Kulturbeirat deutscher Zuwanderer klug zusammenzuarbeiten, denn wir reden nicht nur von Integration. Wir erleben sie. Täglich. und konnte dann neben Bürgermeister Klemens Gsell auch die Bezirksräte Norbert Dünkel und Peter Daniel Forster sowie Dr. Sieghard Rost, MdL a.D. begrüßen. Es folgten mehrere Stadträte der Fraktionen SPD, CSU und ÖDP, Vertreter von Wohlfahrtsverbänden und städtischen Institutionen AWO, Caritas, Gemeinschaftshaus Langwasser, Jugendamt, Polizei, Kirchen, befreundeten Vereinen, wie z.B. der Bürgerverein Langwasser, sowie Vorsitzende mehrerer Mitgliedsvereine. Sie und die ehrenamtlichen Mitarbeiter, die in den Arbeitskreisen des HdH tätig sind, sowie die Künstler hieß Horst Göbbel herzlich willkommen.
Bürgermeister Klemens Gsell überbrachte auch die Grüße des Oberbürgermeisters Dr. Ulrich Maly und betonte, dass das HdH sich einerseits als echte Heimat für die Verbände der Aussiedler entwickelt hat, andererseits „vor allem auch durch Integration über die Sprache einen wichtigen Beitrag ergänzend zu den Schulen leistet, der als Schub gewertet werden kann. Die ursprüngliche Aufgabe, die mitgebrachte Kultur zu erhalten, wurde erweitert, um die Kultur der neuen Heimat zu verstehen. Dieses Ganze ist zu einem runden Paket verschmolzen, wofür ich allen ein herzliches Vergelt’s Gott! ausspreche.“ So wie man nach dem Krieg gemeinsam angepackt und Deutschland zu einer relativ wohlhabenden Gesellschaft entwickelt habe, müssen wir, um erfolgreich zu sein, auch heute gemeinsam die Probleme der Zuwanderung lösen.
In Vertretung des Bezirkstagspräsidenten Richard Bartsch lobte Bezirksrat Norbert Dünkel die „ganz besonders herzliche, angenehme und sympathische Atmosphäre im HdH“, die in der Art, wie das Haus geführt wird, liegt, aber sicherlich auch an den selbst gebackenen köstlichen Spezialitäten, die im HdH immer wieder gereicht werden. Heuer war es Gebäck der Banater Schwaben. Der Bezirksrat zeigte sich tief beeindruckt, welch „unglaubliche Palette an Verantwortungsträgern aus Organisationen und Verbänden begrüßt worden sind“ und dankte allen Verantwortungsträgern, besonders aber den Ehrenamtlichen für ihre Arbeit im HdH und in den Verbänden: „Die Integrationsarbeit, die Sie leisten, ist unbezahlbar!“
Gabriele Penzkofer-Röhrl, SPD-Stadträtin schloss sich gerne dem Lob an und sagte, dass das HdH ein wesentlicher Bestandteil im Stadtteil geworden sei, was auch die große Präsenz des Bürgervereins Langwasser zeige. Dass vier russlanddeutsche Kandidatinnen für den Integrationsrat anwesend waren, freute sie ganz besonders. Zur bevorstehenden Wahl des Integrationsrates sagte sie u.a. „Vielleicht können die Menschen mit Migrationshintergrund uns Einheimischen zeigen, was politisches Engagement ist, denn bei den Einheimischen ist die Wahlbeteiligung in letzter Zeit nicht groß gewesen.“ ÖDP- Stadtrat Thomas Schrollinger erwähnte ebenfalls die „herzliche familiäre Atmosphäre im HdH, die auch der Sinn des Hauses zu sein scheint.“ Er betonte, dass Menschen Wurzeln brauchen, um sich wohl zu fühlen. In diesem Sinne wünschte er auch dem Projekt Interkultureller Garten in Langwasser einen guten Start und möglichst viele Zuwanderer, die sich daran beteiligen.
Im folgenden Largo von Francesco Maria Veracini stimmten die Musiker, die beide in Perm in Russland jeweils erste Geiger in hochrangigen Orchestern waren und seit 1996 in Deutschland leben, das erwartungsvolle Publikum auf ein sehr trauriges Kapitel in der Geschichte der Menschheit ein: Deportation als Folge von Diktaturen und groben Menschenrechtsverletzungen.
Zum Thema Herta Müller und ihr Roman Atemschaukel zeigte Horst Göbbel zunächst ein Video über die Zeremonie der Überreichung des Literaturnobelpreises 2009 an die unbeugsame Deutsche aus Rumänien, die 1953 in Nitzkydorf, im Schwäbischen Banat geboren ist und seit Jahren gegen das Vergessen schreibt. Das Werk der Literaturnobelpreisträgerin besteht aus Romanen, Essays und Text-Bild-Collagen. Es entstand hauptsächlich in Deutschland, wo sie seit 1987 lebt. Als junge Frau wird sie zu einer scharfsinnigen Beobachterin der Situation im sozialistischen Rumänien und mutigen Kämpferin gegen jede Form von Diktatur, sagte Göbbel. Ihr neuester Roman „Atemschaukel“ (2009) nimmt das Leid der Rumäniendeutschen nach 1945 – speziell während der Deportation in die Sowjetunion – am Beispiel ihres siebenbürgisch-sächsischen Freundes Oskar Pastior in den Blick und verhilft diesem Thema zum ersten Mal zu einer breiten öffentlichen Wahrnehmung. Helmine Buchsbaum trug anschließend einen beeindruckenden Abschnitt des Buches vor, der den Hungerengel beschreibt.

Gennadi Horn, dessen Großeltern aus Österreich stammen, ist Deutscher aus Russland, Kunstmaler, Grafiker, Kunstlehrer, Industriedesigner, Museumsrestaurator, Bühnenbildner und Möbeldesigner und kam 1992 nach Deutschland. Er präsentierte beim Jahresempfang seine Träume, Eindrücke, Erwartungen und die Realität von und in Deutschland mit eigenen Erlebnissen und surrealistischen Bildern unter dem Titel Sommernachtstraum. Auf die Klänge des Liedes The dark side of the moon von Pink Floyd, für ihn und seine Jugendfreunde in Russland Inbegriff der Freiheit, erklärte er kurz den Surrealismus. Dann kam er zum Lied The Wall, von dem er behauptete, dass es den Mauerfall vorausgesagt habe, weswegen es die Kommunisten hassten. In der Sowjetunion war alles verboten. Sie versuchten, alles zu kontrollieren, auch unser Hirn…Wir waren jung, wir waren Hippies und ich war fast 20 Jahre nicht beim Friseur gewesen, weil sie Anweisungen hatten, uns kahl zu scheren. Pink Floyd sei nur auf dem Schwarzmarkt zu kaufen gewesen und kostete einen halben Monatslohn. Man traf sich im Wald und tauschte die Platten aus, obwohl man ständig damit rechnen musste, dafür verhaftet zu werden. Horns eindringliche Schilderungen der Sehnsucht nach Freiheit und der tiefen Dankbarkeit, in Deutschland leben zu dürfen, nannte Horst Göbbel beim Dank für den interessanten Vortrag gelebte Kunst und gelebtes Streben nach Freiheit. Beim Genießen köstlicher banatschwäbischer Spezialitäten konnte man sich weitere Bilder von Gennadi Horn ansehen. Nicht wenige Gäste betonten beim Abschied, dass wir nicht aufhören dürften, unsere Freiheit zu schätzen und zu schützen.

Doris Hutter