„Weißt du, was das heißt: Heimweh!“
Russlanddeportierte im Haus der Heimat Nürnberg
Am 9. Dezember 2009 trafen sich im Haus der Heimat Nürnberg auf Einladung von Günter Czernetzky 13 Zeitzeugen, die im Januar 1945 aus Siebenbürgen und dem Banat in die Sowjetunion deportiert wurden: Johann Bielz, Katharina Borbely, Katharina Donos, Elfriede Fabian, Anni Häusler, Hermine Krulitsch, Michael Mathias und Johann Roch aus Nürnberg, Johann Martini aus Heusenstamm bei Frankfurt, Elfriede Baier aus Seukendorf bei Fürth, Johann Schuller aus Fürth, Hartmann Bell und Anna Wagner aus Schwabach. Weitere Teilnehmer waren Angehörige, ein dort gezeugtes Kind und Dagmar Geddert aus Nürnberg, geboren im Lager Mospino.
Nach rührenden Begrüßungen und Gesprächen bei Kaffee und Kuchen, führte Czernetzky einige Interviews und Lieder aus der Deportation vor. Besonders beeindruckend erschienen die Lieder „Weißt du, was das heißt: Heimweh?“ und „Nach meiner Heimat zieht´s mich wieder!“ sowie „Tief in Russland in Stalino“.
Wiltrud Wagner zeigte die Foto – Dokumentation einer Reise zum Lager Handschonkowo (Lagernummer 1024) wobei neben neuen Gebäuden auch das viele Grün auffiel, u.a. große Bäume gepflanzt von den Deportierten: „Damals gab es keine Bäume, nichts Grünes, es war ständig windig, trockene Erde, alles war schwarz…Die Pappeln haben wir dann gesetzt!“ Der Eingang zum Bergwerk wurde sofort wieder erkannt und es wurden Geschichten über Unfälle erzählt. Hunderte Meter tief sind die Arbeiter in den Berg gefahren. Das Badehaus („Banja“) steht auch noch. Einmal wöchentlich durften die Gefangenen (offiziell: „Zivilinternierten“) baden, während ihre Kleidung entlaust wurde. Allerdings war die Heizung dafür nicht heiß genug, die Läuse überstanden die Entlausung…Als die Hygiene besser wurde, verschwanden auch die Läuse. Nicht aber die Wanzen…
Allzu große Probleme, wie z.B. Epidemien hat es in diesem Lager nicht gegeben, es war nämlich ein Vorzeigelager, in das die Inspektionen geholt wurden. Fotos, die am Ende der Deportation gemacht werden konnten, wurden beim Treffen herumgereicht und viele Geschichten wieder in Erinnerung gerufen. Trotz großer Entbehrungen und schwerer Leidenszeit, in der das Heimweh wie der Hunger ständiger Begleiter war, sagte ein Zeitzeuge: „Die Russen haben uns im Allgemeinen nicht schlecht behandelt.“ Hatten diese Deportierten mehr Glück als andere oder steht hier der versöhnliche, der verklärende Blick eines etwa 80- Jährigen im Vordergrund? Man hört öfters von Zeitzeugen, dass es in der russischen Bevölkerung auch viele großherzige Menschen gegeben hat, die den Deportierten bei eigener Gefährdung geholfen haben. In seinem Schlusswort erwähnte Horst Göbbel, dass die Lagerzeit natürlich für jeden Betroffenen eine einschneidende, nie zu vergessende Lebenswunde war, die erst im Laufe der Zeit zur Lebensnarbe geworden ist. „Diese unauslöschbaren, diese tief prägenden Lebenserfahrungen der damaligen Zeit, sie sind nicht nur mit Kälte und Hunger, mit Erschöpfung und Unfreiheit, mit Heimatverlust, mit Leid und Elend verknüpft, sie sind auch ein Beweis dafür, es größtenteils doch geschafft zu haben, neu angefangen zu haben. Die damaligen Erkenntnisse lassen uns von allen Deportierten mit lernen, dass Vertreibung und Deportation, dass Unfreiheit und Diktatur überall und immer Unrecht und Verbrechen bedeuteten und dagegen kontinuierlich angegangen werden muss.“
Natürlich konnte dieser Tag ohne klare Hinweise auf die große Leistung der Literatur-Nobelpreisträgerin 2009 Herta Müller und ihrem Roman „Atemschaukel“, das bisher vollkommenste Denkmal zum Andenken an die deportierten Deutschen aus Rumänien in die Sowjetunion 1945 bis 1949, nicht zu Ende gehen.
Man kann nur hoffen, dass weitere derartige „Lagertreffen“ mit Zeitzeugen organisiert werden und die Betroffenen allen Interessierten ihre Erinnerungen erzählen und die Fragen der Neugierigen beantworten. Unsere „lebenden Dokumente“ (so die Formulierung einer Museumsdirektorin aus Dnjepropetrowsk) werden immer seltener!
Doris Hutter