13.03.2008:

Infoabend „Russlanddeutsche und Leiharbeit…“

Deutschland braucht die Kompetenzen der Zuwanderer

Zu einem Informationsabend und einer Diskussionsrunde im Nürnberger Haus der Heimat zum Thema „Russlanddeutsche in Leiharbeit, Mindestlohn, Betriebsräte und Gewerkschaften“ luden Mitte März die Katholische Betriebsseelsorge der Stadtkirche Nürnberg, die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (Ortsgruppen Nürnberg und Fürth) und das Haus der Heimat ein. Interessenten aus der Reihe der russlanddeutschen Spätaussiedler, mehrere darunter selbst Leiharbeiter oder mit dieser Erfahrung, hatten die Möglichkeit, mit Experten von Gewerkschaften, Betriebsräten, Kirche und Landsmannschaft über die komplexe Problematik zu diskutieren. Das war bereits die zweite Veranstaltung dieser Art, zuvor stand das Thema „Russlanddeutsche Akademiker in Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung“ im Mittelpunkt.

Vordergründig ging es in der Gesprächsrunde, die von Dipl. Theol. Diakon Kurt Reinelt von der Katholischen Betriebsseelsorge gekonnt moderiert wurde, um eine aktivere Teilhabe der Deutschen aus Russland bei der Behandlung von Themen, die sie betreffen. Kurt Reinelt, der selbst aus einer Aussiedlerfamilie stammt, ging auf die Stärken der Russlanddeutschen wie Familiensolidarität und ihre hohe Eigentumsbindung ein. Andererseits verwies er darauf, dass diese größte Aussiedlergruppe auch am schlechtesten organisiert sei.

Dr. Sandra Siebenhüter von der Uni Eichstätt stellte ihre Studie „Zur beruflichen Situation der Aussiedler in der Boomregion Ingolstadt“ vor, wo 17.000 Aussiedler, ca. 14 Prozent der Gesamtbevölkerung leben. Trotz der allgemein guten Situation auf dem Arbeitsmarkt sind auch hier überproportional viele Ausländer und Aussiedler in Leiharbeit und Zeitarbeit. „Die Firmen haben die Tugenden der Aussiedler erkannt und nutzen sie rigoros aus“, so die Referentin.

Auch Petra Wlecklik von der IG Metall (Ressort Migration) aus Frankfurt stellte fest, dass inzwischen von weitgehend ungeschützter Beschäftigung (befristete und Niedriglohnjobs, Leiharbeit) weite Teile des Wirtschaftslebens in Deutschland betroffen sind. Die IG Metall habe eine Leiharbeits-Kampagne mit der Forderung „Gleiche Arbeit – gleiches Geld. Leiharbeit fair gestalten“ gestartet. Dadurch wolle man die Leiharbeit in der heutigen Form weitgehend verhindern bzw. begrenzen. „Nur durch die solidarische Unterstützung der Gewerkschaften und der Betriebsräte kann man etwas erreichen“, sagte Wlecklik.

Erwin Neidiger und Olga Gerlein-Borowski von BRV Bolta GmbH Leinburg bedauerten, dass fast keine Russlanddeutsche in den Gewerkschaften seien: „Von 38 Russlanddeutschen sind nur drei in der Gewerkschaft organisiert.“ Die Russlanddeutsche Olga Gerlein-Borowski, die zehn Jahre bei IG Metall war und nun vier Jahre Betriebsrätin der Bolta Werke GmbH ist, gehört zu den wenigen Ausnahmen. „Keine Scheu haben, mit Einheimischen zusammen zu arbeiten. Wenn ihr nicht in den Gewerkschaften seid, stärkt es uns nicht“, wendete sie sich an die Versammelten.

Auch das Thema Deutsch am Arbeitsplatz wurde mehrmals aufgegriffen. Dafür plädierten nicht nur die Vertreter der Gewerkschaften und Betriebsräte „um Missverständnisse vorzubeugen“, sondern auch die Teilnehmer aus dem Publikum, die über ihre Erfahrungen berichteten. „Wir hatten glückliche Zeiten, weil wir Arbeit hatten. Die Gespräche nützen nichts, wenn man nicht an die Arbeit kommt“, betonte Arthur Schächterle von der Ortsgruppe Fürth.

„Gerade wenn man arbeitslos ist, muss man rausgehen, ein Ehrenamt übernehmen und sich nicht abkapseln. Wir sollen signalisieren, dass wir was tun wollen“, widersprach Doris Hutter, Geschäftsführerin des Hauses der Heimat. Sie verwies darauf, dass es inzwischen Arbeitgeber gibt, die nicht nur auf die offizielle Qualifikation schauen, sondern auf die Kompetenzen – und Deutschland brauche die Kompetenzen der Zuwanderer. „Auch wir selbst müssen uns auf unsere Stärken mehr besinnen. Wir sollten aktiv werden und unsere Kompetenzen zeigen“, ermunterte Hutter die Anwesenden.

Nina Paulsen