10.07.2018:

„Deutsch-Russische Hochzeit“ – eine Theatervorstellung als Zeitreise

Fotos von der Veranstaltung »

Wenn unsere Ur-Ur-Ur-Großeltern noch leben würden, was könnten sie den jungen Menschen über ihre Hochzeit erzählen? Welche Bräuche gab es damals und welchen Sinn diese hatten? Eine zweisprachige (Deutsch/Russisch) musikalische Theatervorstellung „Deutsch-Russische Hochzeit“, die am 10.7.2018 auf der Wiese vor dem Haus der Heimat Nürnberg zu sehen war, machte die Zeitreise möglich. Das Berliner „Theater Lieder und Worte“ und das Studententheater „Balagan“ aus Nowosibirsk zeigten Hochzeitsbräuche, Lieder und Tänze beider Länder und Völker, die sich zu einem eindrucksvollen und einprägsamen Theaterereignis verflochten. Das zahlreich erschienene Publikum unterstützte die Darsteller tatkräftig mit Beifall und Gesang. Die Einladung nach Nürnberg kam durch die Vermittlung von Georg Reis und Dorothea Walter (Ortsgruppe Nürnberg) zustande. Mitarbeiter der Landsmannschaft und des Hauses der Heimat sorgten dafür, dass den Gästen aus Berlin und Nowosibirsk an nichts fehlte.

Die „Deutsch-Russische Hochzeit“ ist der dritte Teil des internationalen Kulturaustauschprojektes „Auf den Spuren der Deutschen in Russland“, das vom Berliner „Theater Lieder und Worte“ (gegründet von der Regisseurin Natascha Bondar und der Schauspielerin Julia Gorr) und dem Folkloretheater „Balagan“ der Staatlichen Pädagogischen Universität Nowosibirsk in Angriff genommen wurde. Am Anfang des längerfristigen Forschungsprojektes stand eine Reise (2016) mit deutschen und russischen Studenten und Künstlern nach Nowosibirsk und in die Altairegion. In Slawgorod und in den Siedlungen Podsosnowo und Nikolajewka des Deutschen Nationalen Rayon Halbstadt wurden Interviews geführt, alte Dialekte, Lieder, Rezepte und Geschichten aufgezeichnet. Daraus entstand eine Dokumentation „Auf den Spuren der Deutschen in Russland“. 2017 führte das „Theater Lieder und Worte“ anhand von sechs russlanddeutschen Biografien (Anton Bosch, Albert und Nelle Konstanz, Willy Muntaniol, Lydia Rudi und Valentina Schmidt) das dokumentarische Theaterstück „TraumesHeimat“ auf, das seitdem mehrfach gespielt wurde.

2018 entstand die gemeinsame zweisprachige Theatervorstellung „Deutsch-Russische Hochzeit“ – als Ergebnis der Kooperation mit dem Deutsch-Russischen Haus in Nowosibirsk (Informationen über deutsche Hochzeitsrituale, -tänze und -lieder) und dem Projektleiter der Landsmannschaft Jakob Fischer, der über Jahrzehnte einen umfangreichen Schatz an Volksliedern, Bräuchen und Tänzen der Deutschen aus Russland (darunter das Hochzeitsbrauchtum der „Wolgadeutschen Hochzeit“) gesammelt hat. Die Erstaufführung der „Deutsch-Russischen Hochzeit“ fand am 7.7.2018 auf der Freilichtbühne Weißensee in Berlin statt, darauf folgten weitere Vorstellungen im Museum Alexandrowka (Russische Kolonie in Potsdam) und im Rathaus Kirchhatten/Hatten bei Oldenburg.

Auch in Nürnberg nahm die „Deutsch-Russische Hochzeit“ die Zuschauer auf eine Zeitreise mit, bei der sie nicht nur die Mischung der Kulturen und Sprachen miterlebten, sondern auch Teil der bunten und heiteren „Hochzeitsgesellschaft“ wurden. Die Darsteller aus Berlin stellten den deutschen Bräutigam und die aus Nowosibirsk die russische Braut. Die Regisseurin und Schauspielerin Natascha Bondar schlüpfte gleich auch in die Rolle des Vaters des Bräutigams. Die Schauspielerin und Tanzpädagogin Julia Gorr (geb. in Krasnojarsk, spielte in zahlreichen Fernseh- und Kurzfilmen), in traditioneller hessischer Tracht, moderierte und vermittelte zwischen der deutschen und russischen „Hochzeitsgesellschaft“. Während des bunten Hochzeitstreibens waren unter anderem das russlanddeutsche Hochzeitslied „Bei uns, ihr Leit, ist Hochzeit heit“ (Scherzreime von der Wolga) sowie die Volkslieder „Du, du liegst mir im Herzen“ und „Kein Feuer, keine Kohle“ zu hören. Hochzeitsstimmung auf der Wiese machten die Deutschen mit der „Hopsapolka“, die zu Hochzeiten an der Wolga gesungen, gespielt und getanzt wurde, der „Sternpolka“ (typisch bayerisch und vielen gut bekannt) und dem seltenen „Klagelunder Brauttanz“ (vermutlich aus dem deutschen Norden). Auch die Darsteller des Nowosibirsker Folkloretheaters heizten mit traditionellen russischen Hochzeitsliedern die Stimmung an – mit viel Hingabe und Professionalität. Mit Gesang und Tanz setzten sie die Lieder „Плач невесты“/„Weinen der Braut“, „Стукну я брякну тяхонечко в окно“/„Ich klopfe still am Fenster“, „Краковяк“/„Krakowiak“ und „Частушки“/“Scherzlieder“ gekonnt in Szene. In das bekannte Volkslied „По Дону гуляет“/„Am Don geht spazieren“ stimmte auch das Publikum begeistert ein.

Beide Teams zeigten sich sehr zufrieden, dass das Theaterstück so gut angekommen ist. „Wir spielten in Berlin vor unserem Stammpublikum und den Sponsoren – alle, ob jung oder alt, waren begeistert. Das Gleiche erlebten wir auch an allen anderen Spielorten. In Alexandrowka spielten wir überwiegend vor russischsprachigem und internationalem Publikum, weil dieser Ort von Touristen sehr begehrt ist. In Nürnberg saßen überwiegend Deutsche aus Russland im Publikum, die dank der Landsmannschaft davon erfahren hatten. In Hatten waren es zu 98 Prozent einheimische Deutsche. In allen drei Orten wurden wir begeistert aufgenommen: Das zweisprachige Stück ist bei allen Volksgruppen und Generationen wunderbar angekommen. In Alexandrowka versuchten danach junge Leute aus verschiedenen Ländern Polka zu lernen und tanzten auf der Wiese. In Nürnberg haben wir während der Vorstellung fast geweint, als die Zuschauer sowohl die deutschen, als auch die russischen Lieder mitanstimmten. Und in Hatten gingen die Deutschen mit Glückstränen und zutiefst berührt hinaus. Die Organisatoren sagten uns, dass sie ihr Publikum noch nie so aufgewühlt und begeistert erlebt hatten“, beschreibt Julia Gorr die Eindrücke.

Nina Paulsen