Der traditionelle Seniorentreff der Ortsgruppe Nürnberg am 18. Oktober 2015 im Haus der Heimat Nürnberg wurde diesmal durch die Lesung mit dem Kölner Buchautor Artur Grüner erweitert und bereichert. Die Veranstaltung, organisiert von der Landsmannschaft Nürnberg in Kooperation mit dem Haus der Heimat, wurde vom Chor „Heimatklänge“ und dem Musiker Gocha Jaschagaschvili musikalisch begleitet und stand unter dem Motto „Verlorene Heimat – Heimatsuche – Was ist Heimat?“
Der Vorsitzende Rudi Walter begrüßte die zahlreich erschienenen Gäste aus Nürnberg und Umgebung, die Moderation lag in den Händen der Kulturbeauftragten Dorothee Walter. Sie leitete den Nachmittag mit den Zeilen aus dem „Lied der Deutschen aus Russland“ von Reinhold Frank ein: „Zwei Jahrhunderte wir waren / fern der Ahnen Heimatland / Untertanen fremder Zaren: / mehr verkannt als anerkannt. / Unser Dortsein war ein Wandern, / unser Haus stand oft auf Sand, / denn von einem Ort zum andern / trieb und stieß man uns durchs Land.“ Das Gedicht gab der Veranstaltung immer wieder eine Richtung und eine neue Wendung. Der Chor, wobei auch die Gäste kräftig mitsingen durften, untermalte den Verlauf mit Heimatliedern.
Auch im Buch von Artur Grüner „Das letzte Geheimnis. Wenn die Hexe einmal die Wahrheit spricht“, einem Roman und einer Generationen-Saga über die tragische Geschichte der Russlanddeutschen, geht es um die Suche nach Heimat. Dr. med. Artur Grüner selbst wurde in der Ukraine in einer deutschen Familie geboren und mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges mit den Eltern nach Sibirien deportiert, wo einige Verwandte ums Leben kamen. Nach Stalins Tod gelang es ihm Medizin zu studieren und zum Chef einer Herz-Chirurgischen Klinik aufzusteigen. Vor einigen Jahren konnte er nach Deutschland kommen.
Das umfangreiche Werk (839 Seiten), 2015 im August von Goethe Literaturverlag Frankfurt/Main erschienen, hat der Autor mit viel Herzblut verfasst. In mehreren Geschichten schilderte er seine Erlebnisse und die der Protagonisten im Buch. Die Zeitspanne umfasste aufschlussreiche Einblicke in die wechselhafte und bewegende Geschichte der russlanddeutschen Volksgruppe von der Einwanderung nach Russland über Ereignisse im ersten Weltkrieg, unter Stalin und dem Sowjetregime bis zur endgültigen Auflösung des Deutschtums und der massenhaften Rückwanderung in das Land der Vorfahren.
Vor der Verschiffung auf der Donau wird die Familie von einer Wahrsagerin mit einem Fluch beladen, der bis in die siebte Generation andauern sollte. Und dies ist die Generation der Eltern des Autors, die – nach Sibirien zwangsausgesiedelt – um das nackte Überleben unter Stalin und noch Jahre danach kämpfen müssen. Das wiederum sind der Fluch und „das letzte Geheimnis“ des sowjetischen Diktators, der mit beispielloser Grausamkeit das ganze Land östlich des Uralgebiets in ein einziges GULag verwandelte. Auch die Nachfahren der fernen Grubers entschieden sich schließlich, in das Land der Vorfahren zurückzukehren. Mit der Erkenntnis, dass sie es hier nicht viel leichter haben, als die fernen Vorfahren es damals in Russland hatten. Am Ende bleibt die Frage, ob der Fluch für die Verwandten in Russland geblieben ist oder ob seine Macht auch noch in Deutschland zu spüren sein wird.
Abschließend trug der Historiker Dr. Anton Bosch seine Gedichte vor, die den Begriff „Heimat“ aus vielerlei Hinsicht veranschaulichten. Mit „7mal Befreiung“ schilderte er den Zickzack-Weg seiner Biografie und vieler anderer Schwarzmeerdeutschen, die ihre Heimat für immer verloren. „Die Heimat meiner Kindheit“, so der Titel des nächsten Gedichtes ist voller Sehnsucht nach der verlorenen Heimat: „Wo die Akazie stolz im Frühjahr ihre gelben Blüten zeigte. / Und wo es im Winter immer wenig schneite. / Das war einmal mein wunderschönes Heimatland. / Wo vor 80 Jahren meine kleine Wiege stand… / Es war meine Heimat dort am Schwarzen Meer, / Nach der ich noch heute sehne mich so sehr, / Obwohl es ist geblieben nur ein süßer Kindertraum, / Der mich oft besucht im dunklen stillen Raum.“ Mit einer leidenschaftlichen Hymne auf „Mein Nürnberg“ schlug Anton Bosch den Bogen zur neuen Heimat, im Land der Vorfahren. Ob es die Heimat ist? und Was ist Heimat? – die Fragen blieben offen. Auch im Buch von Artur Grüner.
Zum Abschluss ließ Dorothee Walter wieder den Dichter Reinhold erklingen: „Vom gerechten Wunsch durchdrungen, / Deutsche unter Deutschen sein, / haben wir uns durchgerungen, / ziehen frei in Deutschland ein. / Müssen in der Fremde lassen / manches Lebenswerk, manch Haus, / doch wir ziehen ohne Hassen / und in Seelenfrieden aus. / Lasst uns starke Wurzeln treiben, / fest verankert, nicht im Sand, / um für immer hier zu bleiben / in der Ahnen freiem Land.“ Mit der Musik von Gocha Jaschagaschvili auf das Gedicht von Frank klang die berührende Veranstaltung nach über drei Stunden aus.
Nina Paulsen