10.05.2013:

Vortragsveranstaltung und Diskussion mit dem Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung, Dr. Christoph Bergner

„Ich wünsche mir mehr Selbstbewusstsein von den Deutschen aus Russland“
Dr. Christoph Bergner bei der Nürnberger Veranstaltungsreihe 2013

Im Rahmen der Nürnberger Veranstaltungsreihe 2013 (24.01.-08.09.2013) unter dem Motto „Einmal Russland und zurück!“ luden die Organisatoren am 10. Mai zu einer Vortragsveranstaltung und Diskussion mit dem Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung, Dr. Christoph Bergner, in die Evangelische Stadtakademie Nürnberg im „Eckstein“ ein. Zu den Veranstaltern gehörten neben der SinN-Stiftung des Evang.-Luth. Dekanats und der Evangelischen Stadtakademie außerdem das Haus der Heimat Nürnberg e.V., der Verein ARTEC-Proiectum e.V., das Haus der Heimat Nürnberg und Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (Nürnberg und Fürth).
Vor einem zahlreich erschienenen Publikum mit Gästen aus der Kommunalpolitik, Einrichtungen und Vereinen sowie der breiten Öffentlichkeit (zugewanderte und einheimische Deutsche) aus Nürnberg und Umgebung eröffneten Pfarrer Willi Stöhr, Leiter der Ev. Stadtakademie Nürnberg, und Dr. Sabine Arnold, Projektleiterin der SinN-Stiftung, die Veranstaltung. Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e.V. (Bundesverband) war durch den neuen Bundesvorsitzenden Waldemar Eisenbraun und das Bundesvorstandsmitglied Ewald Oster vertreten.
Warum gingen Deutsche vor 250 Jahren nach Russland und warum bewahrten sie ihr Deutschsein bis sie wieder zurückkehrten? Kamen sie als Deutsche oder als Fremde zurück in das Land ihrer Vorväter? Welche Herausforderungen stellten die Deutschen aus Russland an die in Deutschland Geborenen? Diese und andere Fragen standen im Mittelpunkt der Veranstaltung und des Vortrags von Dr. Christoph Bergner „Einmal Russland und zurück. 250 Jahre Katharinenerlass“.
In seiner Ansprache betonte der Aussiedlerbeauftragte, dass Anlässe wie „250 Jahre Katharinenerlass“ vor allem eine gute Gelegenheit bieten, über die Geschichte und Integrationserfolge russlanddeutscher Spätaussiedler zu sprechen und die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen. Er lobte die Nürnberger Veranstaltungsreihe als eine bundesweit beispielhafte und nachahmenswerte Initiative. „Ich begrüße Initiativen, die dieses Datum würdigen“, sagte Bergner. Die Russlanddeutschen „haben eine reiche 250-jährige Siedlungs- und Kulturgeschichte entstehen lassen. Auf ihrem langen Weg, nach freiwilliger und erzwungener Wanderung, nach Abschied, Entbehrungen und Enteignungen hatten sie oft keine Möglichkeiten, die Zeugnisse und Erzeugnisse ihrer Kultur mitzunehmen. Aber jeder kam mit seiner eigenen Geschichte, mit wenigen materiellen Dingen, aber mit umso mehr Erinnerungen.“ Der Erhalt dieser Erinnerungskultur habe eine wichtige identitätsstiftende Mission, sagte der Aussiedlerbeauftragte mit Blick auf die dunklen Seiten der russlanddeutschen Geschichte. „Am 28. August 1941 erließ das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR den Erlass zur Deportation der Wolgadeutschen, mit dem Stalin an den sowjetischen Staatsbürgern deutscher Nationalität Rache für den Überfall Hitlers auf die Sowjetunion nahm. Die Russlanddeutschen waren für diesen verbrecherischen Überfall in keiner Weise verantwortlich. Aber sie waren Deutsche und allein deshalb wurden sie noch Jahre nach Kriegsende zum inneren Feind erklärt, unterdrückt und benachteiligt.“
Daraus ergebe sich die „besondere historisch-moralische Verpflichtung Deutschlands gegenüber der Russlanddeutschen“. Und es „passt nicht in diese historisch-moralische Verpflichtung, dass die 2,5 Millionen Russlanddeutschen kein staatlich gefördertes Museum haben“, bedauerte er. Das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte in Detmold – eine Privatinitiative – sei das erste und bisher einzige Museum in Deutschland, das sich dauerhaft mit der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen befasst.
Wichtig sei auch, dass sich die russlanddeutschen Organisationen verstärkt selbst zu Wort melden, unterstrich Bergner. „Ich wünsche mir, mehr Selbstbewusstsein von den Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion“, sagte er, wobei er unter anderem die gelungene Integration der Russlanddeutschen herausstellte und das Streben vor allem junger Leute, sich aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft zu beteiligen, lobte. Immerhin fassten die meisten Russlanddeutschen den Entschluss zur Auswanderung in das Land der Vorfahren wegen ihrer Kinder, die es besser haben sollten.
„Als Kind, das es einmal besser haben sollte“ stellte sich Waldemar Eisenbraun als Bundesvorsitzender der Landsmannschaft vor und griff das Stichwort „mehr Selbstbewusstsein“ auf, indem er den Gedanken äußerte, die Russlanddeutschen sollten aus der Opferrolle und dem „Jammertal“ herauskommen und lernen, mit mehr Selbstbewusstsein und auf Augenhöhe aufzutreten. Auch Horst Göbbel, Vorsitzender des HdH Nürnberg e.V., griff den Gedanken mit den Worten auf: „Wir waren und bleiben Leistungsträger.“

Im Anschluss zeigten junge Künstler des ARTEC-Proiectum e.V. im HdH (Leitung: Irina Trautwein) eigene Bilder, die sie unter dem Titel „Gestern. Heute. Morgen“ in einem Workshop der SinN-Stiftung im Rahmen der Veranstaltungsreihe gemalt hatten. Auf allen drei Bildern symbolisiert das Rad als Symbol der Zeit die guten und schlechten Zeiten in der russlanddeutschen Geschichte. Der Malkurs und Workshop unter der Leitung von Irina Trautwein (etwa 60 junge Künstler) stellte sich auch mit der beeindruckenden Bilderausstellung im Foyer zu den Themen „Geschichte, Migration und Integration“ vor.
Eine anschließende Diskussionsrunde mit Fragen der Anwesenden und Antworten des Aussiedlerbeauftragten, der sich danach auch Zeit für individuelle Gespräche nahm, schloss die gelungene Veranstaltung ab. Musikalisch wurde der Abend vom Kinderchor des Hauses der Heimat (Leiterin: Olga Philipp) und dem Chor der SinN-Stiftung „Nostalgia“ (Leiterin: Tajana Sokolova) umrahmt. Zur Geschichte der Russlanddeutschen informierte zusätzlich die fünfteilige Ausstellung „250 Jahre Einladungsmanifest Katharina II. – 250 Jahre russlanddeutscher Kulturgeschichte“ des Historischen Forschungsvereins der Deutschen aus Russland e.V. Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland lud die Gäste zu einem Imbiss ein.

Nina Paulsen