„Schön, dass Sie Ihre Kultur zu uns bringen!“
Aussiedlerkultur im Herzen Nürnbergs (2.Tag)
Bundestagsabgeordnete lösen vorjähriges Tanz-Versprechen ein
Abenteuerlich ist die Organisation von Veranstaltungen unter freiem Himmel schon des Wetters wegen. Für diesen Samstag, den 8. Juni, kam hinzu, dass unsere türkischen Mitbürger anlässlich der Unruhen in der Türkei kurzfristig eine Demonstration in der Nürnberger Altstadt angekündigt hatten, um die Demokratiebewegung in der Türkei zu unterstützen. Doch es sollte ein zwar außergewöhnlicher, aber sonniger und friedlicher Tag werden: Um 14 Uhr trafen sich acht Tanzgruppen der Aussiedlerverbände auf dem Haupt-, dem Hall- und dem Ludwigsplatz, wo je eine große Box für die musikalische Umrahmung der Auftritte sorgte. Es tanzten und wanderten dann reihum zum nächsten Auftritt drei Volkstanzgruppen der Siebenbürger Sachsen (Alzener Trachtentanzgruppe, Leitung Martin Mehburger; Jugendtanzgruppe Herzogenaurach, Leitung Brigitte Krempels; Tanzgruppe Nürnberg, Leitung Johann Schuster), die Jugend- und Kindertrachtengruppe der Banater Schwaben Nürnberg (Leitung Melanie Kling), Gruppen der Tanzschule des Russlanddeutschen Franz Hof sowie Alexander Voss und Katja Jonas mit ihren HdH-HipHop-Gruppen (rund 80 Jugendliche), alle mit Wurzeln in den GUS-Staaten und Mitglieder der Tanzgruppe „White Shadows“, die Jugendtanzgruppe der Sathmarer Schwaben (Leitung Stefan Steinbinder) und die Russlanddeutschen der Art Gruppe ROSENSTOCK (Leitung Marina Silant). Herrlich die Bilder der tanzenden und durch die Altstadt wandelnden Jugendlichen und Trachtenträger, gelungen der Auftritt der Bundestagsabgeordneten Dagmar Wöhrl und Michael Frieser, Integrationsbeauftragter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die auf dem Hauptmarkt mit den Banater Schwaben eine Sternpolka mittanzten! Im vorigen Jahr hatte Frau Wöhrl bei den Aussiedlerkulturtagen spontan die Idee geäußert, heuer mittanzen zu wollen. Während Herr Frieser eine banatschwäbische Tracht trug, trat Frau Wöhrl in fränkischer Tracht auf: Etwas außer Atem, doch fehlerlos tanzten sie auf dem Kopfsteinpflaster vor der Frauenkirche mit. Alle Achtung! Viel Applaus ernteten alle Tanzgruppen von den Zuschauern, darunter viele Touristen.
Trachten und Blasmusik in und vor der Sebalduskirche
Nach zwei Stunden Sonnenschein und Tanzen konnten sich die Trachtenträger und Zuschauer in der Sebalduskirche abkühlen. Dort fand eine Andacht, gestaltet von Pfarrer Willi Stöhr und umrahmt von 86 Trachtenträgern der Banater und Sathmarer Schwaben, Oberschlesier, Russlanddeutschen und Siebenbürger Sachsen statt. Die Choräle und ein schönes Klari-nettenduo steuerte die Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg unter der Leitung von Michael Bielz bei. Die Predigt sprach vielen Aussiedlern unter den Kirchgängern aus der Seele, griff sie doch das Thema auf, immer wieder von vorne beginnen zu müssen. Sich am neuen Wohnort einzubringen, kann diesen zum eigenen Wohle verändern, riet schon der Prophet Jeremia.
Im Einklang mit der Predigt entwickelte sich danach auf dem Sebalder Platz ein Augenschmaus: Etwa 40 Trachtenpaare führten den traditionellen Aufmarsch zu den Klängen der Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg vor und präsentierten damit in geschlossener Vielfalt vor einem staunenden Publikum ihre wertvollen Trachten.
„Wer integriert hier wen?“
Während die Blaskapelle für Schaulustige weiter spielte, gingen die Trachtenträger und Ehrengäste anschließend zum Festempfang in den Krafft’schen Hof, wo Getränke und kulinarische Spezialitäten, darunter „Baumstritzel“, auf die Gäste warteten. Lydia Pastarnak, Russlanddeutsche und Vertreterin der Sprachkurse des HdH, begrüßte die Ehrengäste zur 28. Ausgabe der Aussiedlerkulturtage und erklärte, warum die Andacht dazugehört: „Sowohl die Auswanderer aus Deutschland vor vielen Jahren als auch die Zurückwanderer der letzten Jahrzehnte haben ihre Hoffnungen weitgehend mit Gott und dem Glauben verbunden.“ Sie lobte den Schritt der Aussiedler, in der Altstadt aufzutreten: „Man wertet, schätzt und achtet nur das, was man kennt.“ Großen Applaus zollten die routinierten Volkstänzer den beiden Politikern aus dem Bundestag Wöhrl und Frieser, die, sichtlich begeistert vom Mittanzen, gemeinsam ans Mikrofon traten und von gelungener Integration der Aussiedler sprachen, was dem Ehrengast aus dem bayerischen Landtag, Dr. Markus Söder, Bay. Staatsminister der Finanzen, die Bemerkung entlockte: „Wer integriert hier wen?“
Hohe Wertschätzung für die Aussiedlerkultur
Dann würdigte Dr. Söder die Aussiedlerkulturtage als Ganzes: „Nicht nur die wundervollen Tänze, sondern die Mischung aus Kultur, Ernsthaftigkeit, Freude und Freundlichkeit beeindruckt mich immer wieder – seit 20 Jahren!“ Starken Applaus erntete er für die beabsichtigte Einführung eines Feiertages zu Ehren der Vertriebenen und Aussiedler ab nächstem Jahr in Bayern. Sebastian Brehm, der Oberbürgermeisterkandidat der CSU sagte „Es freut mich, dass Sie mitten in der Stadt sind, denn da gehören Sie hin.“ Und Karl Freller, MdL, CSU: „Tracht ist Heimat, Tracht ist Kultur. Schön, dass Sie Ihre Heimat nicht vergessen ha-ben und Ihre Kultur zu uns bringen!“ Bezirksrat Peter Daniel Forster, CSU überbrachte die Grüße des Bezirks Mittelfranken und gratulierte den Aussiedlern zu dem schönen Fest. Er habe die Andacht und den Trachtenaufmarsch genossen und werde auch in Zukunft um den Erhalt der Zuschüsse für die Aussiedlerarbeit kämpfen. Die Landtagskandidatin und integrationspolitische Sprecherin der SPD-Stadtratsfraktion Gabriela Heinrich sieht im Auftreten der Gruppen in der Altstadt eine begrüßenswerte Entwicklung der Aussiedlerkulturtage. Abschließend sagte sie: „Ich freue mich, eure Kultur kennen und wertschätzen zu können!“
Durch das Programm führte Doris Hutter, in deren Händen die Gesamtorganisation der Aussiedlerkulturtage lag. Sie stellte das Musiker-Trio vor, das den Festempfang instrumental (Geige, Kontrabass und Akkordeon) umrahmte, dankte den Teilnehmern für die gute Zusammenarbeit und schloss mit den Worten: „Die Demonstration unserer türkischen Mitbürger kurz vor unseren Auftritten, die sich für Rechte in der Türkei einsetzen, die wir hier selbstverständlich haben, hat mir wieder mal gezeigt, was für ein Glück wir haben, in Freiheit auf die Straße gehen zu können, um zu tanzen. Dafür danke ich den Politikern, die unsere Demokratie bewahren, und allen Mitstreitern, die darüber hinaus am Erhalt der Kultur mitwirken!“
Doris Hutter